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DIE INITIALISIERUNG VON SELBST
DAS MANTRA DER ROBOTERFRAUEN
Text von: Zuzia Bohdanovic anlässlich der Ausstellung 'Dialog der Generationen' Kunsthalle Liestal Liestal/Basel, 2009
Leicht vorwurfsvoll schaut die Frau auf dem Video den Betrachter an und spricht monoton acht Verben vor: „Gehorchen – Verpflichten – Entscheiden – Einhalten – Durchführen – Vollstrecken – Ableisten – Ausführen“. Der Blick ist dabei flehend, als wäre es an uns, die Gefangene aus ihrem routinierten Loop zu befreien. Die Künstlerin Nicole Biermaier inszeniert sich in ihrem Videostück als Arbeiterin in grauem Kittel, die Haare streng nach hinten gekämmt. Der Hintergrund ist in neutralem weiss gehalten und somit austauschbar. Würden hinter ihrem Konterfei Soldaten marschieren oder wäre ein schickes Grossraumbüro zu sehen, es wäre einerlei. Die Sprecherin betet ihr Mantra fehlerfrei und trotz Kurzatmigkeit in entspanntem Tempo herunter. Die Repetition lullt ein. In den Augen des Roboters ist der Amoklauf erahnbar. Zweite Einstellung, neue Verben. Diesmal tritt die Künstlerin als vermeintliche Terroristin in schwarzer Kapuze auf. Die Rede ist strenger und bestimmter. Diese Frau weckt weniger Mitleid, sondern spielt Überzeugung vor. Ganz im Gegenteil zu der Mutterfigur in der dritten Episode, die ihre Verben gequält und entschuldigend vorträgt. Passend zu „Glauben – Opfern – Entbehren“ spricht diese Figur langsamer und strahlt Demut aus. Ein unüberhörbarer Trotz in ihrer Stimme lässt ahnen, dass sie an der von ihr selbst auferlegten Opferrolle zweifelt. Nicole Biermaier setzt sich in ihren Arbeiten mit Führungsmechanismen und Manipulation auseinander. Doch sind die drei Frauen manipuliert, oder beeinflussen sie mit ihrem Stossgebet nicht auch uns, die Betrachtenden, die sich in jeder der Frauen wieder erkennen? Wir sind alle sowohl Opfer als auch Täter in einer von Rollen, Regeln und Konventionen geprägten Gesellschaft. Man mag dies gut oder schlecht finden, in Gefangenschaft sind wir sicher.
Text von: Zuzia Bohdanovic anlässlich der Ausstellung 'Dialog der Generationen' Kunsthalle Liestal Liestal/Basel, 2009
Leicht vorwurfsvoll schaut die Frau auf dem Video den Betrachter an und spricht monoton acht Verben vor: „Gehorchen – Verpflichten – Entscheiden – Einhalten – Durchführen – Vollstrecken – Ableisten – Ausführen“. Der Blick ist dabei flehend, als wäre es an uns, die Gefangene aus ihrem routinierten Loop zu befreien. Die Künstlerin Nicole Biermaier inszeniert sich in ihrem Videostück als Arbeiterin in grauem Kittel, die Haare streng nach hinten gekämmt. Der Hintergrund ist in neutralem weiss gehalten und somit austauschbar. Würden hinter ihrem Konterfei Soldaten marschieren oder wäre ein schickes Grossraumbüro zu sehen, es wäre einerlei. Die Sprecherin betet ihr Mantra fehlerfrei und trotz Kurzatmigkeit in entspanntem Tempo herunter. Die Repetition lullt ein. In den Augen des Roboters ist der Amoklauf erahnbar. Zweite Einstellung, neue Verben. Diesmal tritt die Künstlerin als vermeintliche Terroristin in schwarzer Kapuze auf. Die Rede ist strenger und bestimmter. Diese Frau weckt weniger Mitleid, sondern spielt Überzeugung vor. Ganz im Gegenteil zu der Mutterfigur in der dritten Episode, die ihre Verben gequält und entschuldigend vorträgt. Passend zu „Glauben – Opfern – Entbehren“ spricht diese Figur langsamer und strahlt Demut aus. Ein unüberhörbarer Trotz in ihrer Stimme lässt ahnen, dass sie an der von ihr selbst auferlegten Opferrolle zweifelt. Nicole Biermaier setzt sich in ihren Arbeiten mit Führungsmechanismen und Manipulation auseinander. Doch sind die drei Frauen manipuliert, oder beeinflussen sie mit ihrem Stossgebet nicht auch uns, die Betrachtenden, die sich in jeder der Frauen wieder erkennen? Wir sind alle sowohl Opfer als auch Täter in einer von Rollen, Regeln und Konventionen geprägten Gesellschaft. Man mag dies gut oder schlecht finden, in Gefangenschaft sind wir sicher.

VOR DEM GROSSEN AUFTRITT
Masteraustellung Shedhalle Zürich 2010, Text Alexandra Blättler für die Publikation
Drei Frauen-Büsten stehen auf einem Sockel in einem dunklen Raum, von Spots beleuchtet, aus dem Off erklingt die Stimme einer Schauspielerin — so skizziert Nicole Biermaier ihre Arbeit. Diese Frauen sind die Protagonistinnen eines geplanten, sich langsam entwickelnden und wachsenden filmischen Portraits, mit dem Nicole Biermaier die Mechanismen von Krieg, Macht und Manipulation aufzuzeigen beabsichtigt. Die Frauen haben keine Namen. Sie heißen: »Warrior«, »Terrorist« und »Suicide Bomber« und stehen für die Täter des Nationalsozialismus, die militanten Mitglieder der Roten Armee Fraktion sowie Terroristen, die unter Berufung auf den Dschihad ihre Attentate verüben.
In dieser Arbeit nutzt Biermaier ihre Familienbiografie, um sich mit den historischen Ereignissen des 2. Weltkriegs auseinanderzusetzen. Davon ausgehend zieht sie eine Linie zum Deutschen Herbst, sowie zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und deren Folgen. Sie will sowohl die Methoden des Terrors als auch die medialen Propagandamittel erarbeiten, besprechen und analysieren. „Ich kreiere drei Figuren, die immer auch ich bin (...): Der ‚Suicide Bomber‘ ist dem Begriff der ‚Explosion‘ zugeordnet, der ‚Terrorist‘ dem der ‚Ohnmacht‘ und der ‚Warrior‘ dem des ‚Wahnsinn‘. Mit diesen drei Figuren arbeite ich im Moment daran, Wiederholungen in der Kriegsgeschichte zu besprechen und zu befragen.
Die Stimme aus dem Off verliest einen Aufruf zum Kampf gegen die imperialistischen Mächte, der sich schlussendlich auf Gott als Schöpfer des Volkes beruft. Über acht Stunden Audiomaterial sind für die Arbeit zusammengekommen. Nicole Biermaier hat sie auf knapp eine Stunde zusammengeschnitten. Durch das Offenlegen der Textarbeit der Schauspielerin distanziert sie sich bewusst vom Textmaterial: Neben der ernsthaften Präsentation sind Versprecher, Lacher und Kommentare zu hören.
Kleine Biografie Nicole Biermaiers
Nicole Biermaiers künstlerisches Arbeiten begann um 2000: Sie schuf filmische Bühnenbilder für verschiedene Theaterprojekte und Visuals für Performances mit der Band Superterz. 2009 erschien der Dokumentarfilm Dachkantine — We miss you so much!. Gemeinsam mit Ravi Vaid und Dion Merz drehte sie einen Dokumentarfilm über den vierwöchigen Abschiedsmarathon der Zürcher Club-Institution, die im Februar 2006 nach zweijährigem Bestehen die Türen schloss. Neben diesen Arbeiten, die sich im Kontext Theater und Musik bewegen, ist die Auseinandersetzung mit den Themen Macht und Manipulation im Werk von Nicole Biermaier sehr präsent: Anlässlich der Ausstellung Dialog03 — Festival für Bild & Musik in der Alten Kaserne in Winterthur zeigte sie 2003 die Arbeit Machinerie - OperaEroica. Hier konnte der Besucher von einer Auswahl von Kriegsvideos, Anti-Kriegs-Hollywoodfilmen, gesampeltem Footage und Musikstücken mit einer VJ Software einen eigenen, neuen Filmclip zusammenschneiden und so ganz neue Inszenierungen und Kontexte schaffen. Im Kunsthaus Aarau zeigte sie 2005 die Installation initialize control#1 — eine Auseinandersetzung mit sprachlicher Manipulation und Suggestion, in die die Besucher eingebunden (wurden) und sich aktiv beteiligen konnten.
Drei Frauen-Büsten stehen auf einem Sockel in einem dunklen Raum, von Spots beleuchtet, aus dem Off erklingt die Stimme einer Schauspielerin — so skizziert Nicole Biermaier ihre Arbeit. Diese Frauen sind die Protagonistinnen eines geplanten, sich langsam entwickelnden und wachsenden filmischen Portraits, mit dem Nicole Biermaier die Mechanismen von Krieg, Macht und Manipulation aufzuzeigen beabsichtigt. Die Frauen haben keine Namen. Sie heißen: »Warrior«, »Terrorist« und »Suicide Bomber« und stehen für die Täter des Nationalsozialismus, die militanten Mitglieder der Roten Armee Fraktion sowie Terroristen, die unter Berufung auf den Dschihad ihre Attentate verüben.
In dieser Arbeit nutzt Biermaier ihre Familienbiografie, um sich mit den historischen Ereignissen des 2. Weltkriegs auseinanderzusetzen. Davon ausgehend zieht sie eine Linie zum Deutschen Herbst, sowie zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und deren Folgen. Sie will sowohl die Methoden des Terrors als auch die medialen Propagandamittel erarbeiten, besprechen und analysieren. „Ich kreiere drei Figuren, die immer auch ich bin (...): Der ‚Suicide Bomber‘ ist dem Begriff der ‚Explosion‘ zugeordnet, der ‚Terrorist‘ dem der ‚Ohnmacht‘ und der ‚Warrior‘ dem des ‚Wahnsinn‘. Mit diesen drei Figuren arbeite ich im Moment daran, Wiederholungen in der Kriegsgeschichte zu besprechen und zu befragen.
Die Stimme aus dem Off verliest einen Aufruf zum Kampf gegen die imperialistischen Mächte, der sich schlussendlich auf Gott als Schöpfer des Volkes beruft. Über acht Stunden Audiomaterial sind für die Arbeit zusammengekommen. Nicole Biermaier hat sie auf knapp eine Stunde zusammengeschnitten. Durch das Offenlegen der Textarbeit der Schauspielerin distanziert sie sich bewusst vom Textmaterial: Neben der ernsthaften Präsentation sind Versprecher, Lacher und Kommentare zu hören.
Kleine Biografie Nicole Biermaiers
Nicole Biermaiers künstlerisches Arbeiten begann um 2000: Sie schuf filmische Bühnenbilder für verschiedene Theaterprojekte und Visuals für Performances mit der Band Superterz. 2009 erschien der Dokumentarfilm Dachkantine — We miss you so much!. Gemeinsam mit Ravi Vaid und Dion Merz drehte sie einen Dokumentarfilm über den vierwöchigen Abschiedsmarathon der Zürcher Club-Institution, die im Februar 2006 nach zweijährigem Bestehen die Türen schloss. Neben diesen Arbeiten, die sich im Kontext Theater und Musik bewegen, ist die Auseinandersetzung mit den Themen Macht und Manipulation im Werk von Nicole Biermaier sehr präsent: Anlässlich der Ausstellung Dialog03 — Festival für Bild & Musik in der Alten Kaserne in Winterthur zeigte sie 2003 die Arbeit Machinerie - OperaEroica. Hier konnte der Besucher von einer Auswahl von Kriegsvideos, Anti-Kriegs-Hollywoodfilmen, gesampeltem Footage und Musikstücken mit einer VJ Software einen eigenen, neuen Filmclip zusammenschneiden und so ganz neue Inszenierungen und Kontexte schaffen. Im Kunsthaus Aarau zeigte sie 2005 die Installation initialize control#1 — eine Auseinandersetzung mit sprachlicher Manipulation und Suggestion, in die die Besucher eingebunden (wurden) und sich aktiv beteiligen konnten.

Subjektive Utopien – EIN GEDANKE AN AUFSTAND – DAS HAUS
Zürich, 16 Februar 2011. Ausstellung kuratiert von Susanne König – im Rahmen der Ausstellungsreihe 'Subjektive Utopien' – Off Space Kunstétage Visarte Zurich - Text von Susanne König
„Revolutionen werden nicht gemacht. Sie entstehen mit dem unbefriedigten Bedürfnis nach Gerechtigkeit.“ Nicole Biermaier (*1971) verwendet in einer raumgreifenden Installation gesprochenen Text, um die ihrer Arbeit übergeordneten Themen Macht, Gewalt und Manipulation darzustellen. Das selbst geführte Interview mit einer Palästinenserin hat die Künstlerin neu interpretiert. Sie gibt ihre Erinnerung an die Erzählung der Frau, welche versucht hat, in das Herkunftsland ihrer Eltern einzureisen, wieder. Im Audiotext dient ein Haus als Projektionsfläche für ein universales Thema. Losgelöst aus dem Kontext des Palästinakonfliktes, steht es allgemein für Herkunft oder Zugehörigkeit eines Individuums. Die detaillierten Beschreibungen über die Geborgenheit des Zuhauses funktionieren als Kontraste zur bedrückten Grundstimmung des Gesprächs. Aber genau diese beiden Gegenpole definieren das Bedürfnis und die damit einhergehende Suche nach Heimat. Die Besucherin oder der Besucher befindet sich in einer Bühnenbildähnlichen Installation. Dabei funktioniert die Installation als Raum, der nicht genau verortet ist. Ein Raum, der sich irgendwo befinden könnte, und in welchem sich die Form eines Verhörs mit der Inszenierung einer inneren Welt vermischt.
Susanne König, 2011
„Revolutionen werden nicht gemacht. Sie entstehen mit dem unbefriedigten Bedürfnis nach Gerechtigkeit.“ Nicole Biermaier (*1971) verwendet in einer raumgreifenden Installation gesprochenen Text, um die ihrer Arbeit übergeordneten Themen Macht, Gewalt und Manipulation darzustellen. Das selbst geführte Interview mit einer Palästinenserin hat die Künstlerin neu interpretiert. Sie gibt ihre Erinnerung an die Erzählung der Frau, welche versucht hat, in das Herkunftsland ihrer Eltern einzureisen, wieder. Im Audiotext dient ein Haus als Projektionsfläche für ein universales Thema. Losgelöst aus dem Kontext des Palästinakonfliktes, steht es allgemein für Herkunft oder Zugehörigkeit eines Individuums. Die detaillierten Beschreibungen über die Geborgenheit des Zuhauses funktionieren als Kontraste zur bedrückten Grundstimmung des Gesprächs. Aber genau diese beiden Gegenpole definieren das Bedürfnis und die damit einhergehende Suche nach Heimat. Die Besucherin oder der Besucher befindet sich in einer Bühnenbildähnlichen Installation. Dabei funktioniert die Installation als Raum, der nicht genau verortet ist. Ein Raum, der sich irgendwo befinden könnte, und in welchem sich die Form eines Verhörs mit der Inszenierung einer inneren Welt vermischt.
Susanne König, 2011

Ein Bild vom Wegsehen
Mutter | Irgendwo im Schnee | Auf hoher See | Der Apfel | Im flachen Land
Zürich, im Februar 2013. Von Irene Grillo – anlässlich der Ausstellung 1. - 10. Februar 2013 'FFF – Fergangenheit, Fake, Fiktion'
Corner College Zürich
«Ein Bild vom Wegsehen» ist ein Hörstück in fünf Kapiteln, das BesucherInnen der Ausstellung auf einer Bank sitzend anhören können. Von einer gedämpften weiblichen Stimme wird einen Teil der mündlich überlieferten Lebensgeschichte eines Mannes nacherzählt, der dem Mythos von Zusammenhalt und Glaube gefolgt war. Es ist eine Geschichte über Unausgesprochenes und vom Wegsehen.
Ausgangsmaterial für die Texte bildet zum einen die Erinnerung der Künstlerin an die Gespräche mit ihrem Grossvater über sein Leben und Ideale in der Zeitspanne von etwa 1920 bis 1949. In die Texte eingewoben sind aber auch weitere Berichte von Familie und Freunden über ihn und die damalige Zeit. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt – jedes Kapitel des Stückes stellt dabei eine andere Perspektive dar – kommt das Bild eines Mannes zum Vorschein, welches zwiespältig, widersprüchlich und lückenhaft bleibt. Die Überlagerung der unterschiedlichen erzählerischen Ebenen schafft nicht ein deutliches Bild des Mannes, sondern lässt diesen in der Unschärfe.
Zur Arbeit gehört auch ein an der gegenüberstehenden Wand hängendes Bild, welches den Titel «Im flachen Land» trägt. Es handelt sich um ein auf Leinwand aufgezogenes Foto vom Heimatdorf des im Hörstück abgebildeten Mannes. Das Bild wird von Biermaier als eine Art «Artefakt» verstanden, das auch die Funktion einer Projektionsfläche annimmt. Diese scheint eine Reflektion über das Dokumentarische an sich vorzuschlagen. Während im Hintergrund das Dorf sich fast am Horizont verliert, ist im Vordergrund ein winterliches schneebedecktes Feld zu erkennen. Wo führt aber diese Erkennung hin? Das Dorf können wir nicht wirklich sehen, und das, war wir sehen können, bleibt rätselhaft: in seiner Klarheit doch sehr «unscharf». So wie Hito Steyerl schreibt «Je genauer wir versuchen, das Wesen des Dokumentarischen festzuhalten, desto mehr entzieht es sich in den Nebel vager Begrifflichkeiten. Diese Terminologie – Worte wie Wahrheit, Objektivität, Realität – ist ebenso unscharf [...]. Ihre Haupteigenschaft ist der Mangel einer verbindlichen Definition.» Für Steyerl ist diese Ungewissheit nicht negativ konnotiert, sondern das «entscheidende Charakteristikum dokumentarischer Formen».
Corner College Zürich
«Ein Bild vom Wegsehen» ist ein Hörstück in fünf Kapiteln, das BesucherInnen der Ausstellung auf einer Bank sitzend anhören können. Von einer gedämpften weiblichen Stimme wird einen Teil der mündlich überlieferten Lebensgeschichte eines Mannes nacherzählt, der dem Mythos von Zusammenhalt und Glaube gefolgt war. Es ist eine Geschichte über Unausgesprochenes und vom Wegsehen.
Ausgangsmaterial für die Texte bildet zum einen die Erinnerung der Künstlerin an die Gespräche mit ihrem Grossvater über sein Leben und Ideale in der Zeitspanne von etwa 1920 bis 1949. In die Texte eingewoben sind aber auch weitere Berichte von Familie und Freunden über ihn und die damalige Zeit. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt – jedes Kapitel des Stückes stellt dabei eine andere Perspektive dar – kommt das Bild eines Mannes zum Vorschein, welches zwiespältig, widersprüchlich und lückenhaft bleibt. Die Überlagerung der unterschiedlichen erzählerischen Ebenen schafft nicht ein deutliches Bild des Mannes, sondern lässt diesen in der Unschärfe.
Zur Arbeit gehört auch ein an der gegenüberstehenden Wand hängendes Bild, welches den Titel «Im flachen Land» trägt. Es handelt sich um ein auf Leinwand aufgezogenes Foto vom Heimatdorf des im Hörstück abgebildeten Mannes. Das Bild wird von Biermaier als eine Art «Artefakt» verstanden, das auch die Funktion einer Projektionsfläche annimmt. Diese scheint eine Reflektion über das Dokumentarische an sich vorzuschlagen. Während im Hintergrund das Dorf sich fast am Horizont verliert, ist im Vordergrund ein winterliches schneebedecktes Feld zu erkennen. Wo führt aber diese Erkennung hin? Das Dorf können wir nicht wirklich sehen, und das, war wir sehen können, bleibt rätselhaft: in seiner Klarheit doch sehr «unscharf». So wie Hito Steyerl schreibt «Je genauer wir versuchen, das Wesen des Dokumentarischen festzuhalten, desto mehr entzieht es sich in den Nebel vager Begrifflichkeiten. Diese Terminologie – Worte wie Wahrheit, Objektivität, Realität – ist ebenso unscharf [...]. Ihre Haupteigenschaft ist der Mangel einer verbindlichen Definition.» Für Steyerl ist diese Ungewissheit nicht negativ konnotiert, sondern das «entscheidende Charakteristikum dokumentarischer Formen».

FFF- Fergangenheit, Fake, Fikiton
Nicole Biermaier und Françoise Caraco, Kuratiert von Irene Grillo, 1. - 10. Februar 2013, Corner College Zürich
Nicole Biermaier und Françoise Caraco setzen sich in ihren neu für die Ausstellung realisierten Arbeiten mit den Lebensgeschichten ihrer Grossväter auseinander. Die Vertiefung in die persönliche Familiengeschichte stellt dabei für die Künstlerinnen eine Geste der Aufschliessung dar: Sie dient den beiden als Anlass, die Umstände des Öffentlichen und Politischen einer vergangenen Zeit zu rekonstruieren und reflektieren. In der Arbeit «Ein Bild vom Wegsehen» nutzt Biermaier die Erinnerung an die Geschichte ihres Grossvaters, um sich mit den historischen Ereignissen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Françoise Caraco erstellt in der Arbeit «Familienfotos» eine Versuchsanordnung, und thematisiert die Grenzziehungen der familiären und gesellschaftlichen Zugehörigkeit. Sie verwendet dazu Portraitbilder und Informationsbruchstücke aus Briefen von 1904 bis 1941, die ihr Grossvater, Sohn eines sefardisch-jüdischen Einwanderers aus Istanbul, aufbewahrt hatte.
Die zwei Künstlerinnen greifen mit diesen zwei Arbeiten mittels Interviews und Archivarbeit aktiv in die aktuelle Debatte der Verknüpfung zwischen Kunst, Geschichte und Geschichtsschreibung ein. So zum Beispiel interessiert sich Biermaier in «Ein Bild vom Wegsehen» für den Aspekt der Mythenbildung in der mündlich transportierten Geschichtsschreibung. Über den Audiotext thematisiert sie die Frage nach dem Wahrheitsgehalt und dem Glaubens- und Manipulationspotential von mündlicher Überlieferung. Mit dem Bild «Im flachen Land» fügt sie ausserdem eine Metaebene ein, die zum Nachdenken über den Begriff des Dokumentarischen anregen soll.
In der Arbeit «Familienfotos» befragt Caraco im weitesten Sinne das Medium Fotografie, als dokumentarische Form. Was kann Fotografie überliefern und wie? Welche sind ihre Wahrheitsansprüche und Möglichkeiten? Caraco versteht die Fotografie als Dokument, welches nicht immer leicht lesbar ist. So waren für sie die Fotografien aus dem Nachlass ihres Grossvaters anfangs nicht entschlüsselbar. Die darauf abgebildeten Personen konnte sie weder erkennen noch einordnen. Ausgehend aus gleichem Quellmaterial, in dem Versuch dieses lesbar zu machen, hat Caraco drei verschiedene Formen der Übersetzung erarbeitet, welche die flüchtigen Dokumente mit neuer Konsistenz versehen. Ob sich aus diesen Übersetzungen eine persönliche Vergangenheit zusammensetzen lässt bleibt offen: Handelt es sich nicht doch lediglich um eine konstruierte Wirklichkeit, eine Fiktion? An diesem Punkt stossen wir wieder auf ein von Hito Steyerl ans Licht gebrachtes Paradox: «Der Zweifel an ihren Wahrheitsansprüchen macht dokumentarische Bilder nicht schwächer sondern stärker».
Nicole Biermaier und Françoise Caraco setzen sich in ihren neu für die Ausstellung realisierten Arbeiten mit den Lebensgeschichten ihrer Grossväter auseinander. Die Vertiefung in die persönliche Familiengeschichte stellt dabei für die Künstlerinnen eine Geste der Aufschliessung dar: Sie dient den beiden als Anlass, die Umstände des Öffentlichen und Politischen einer vergangenen Zeit zu rekonstruieren und reflektieren. In der Arbeit «Ein Bild vom Wegsehen» nutzt Biermaier die Erinnerung an die Geschichte ihres Grossvaters, um sich mit den historischen Ereignissen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Françoise Caraco erstellt in der Arbeit «Familienfotos» eine Versuchsanordnung, und thematisiert die Grenzziehungen der familiären und gesellschaftlichen Zugehörigkeit. Sie verwendet dazu Portraitbilder und Informationsbruchstücke aus Briefen von 1904 bis 1941, die ihr Grossvater, Sohn eines sefardisch-jüdischen Einwanderers aus Istanbul, aufbewahrt hatte.
Die zwei Künstlerinnen greifen mit diesen zwei Arbeiten mittels Interviews und Archivarbeit aktiv in die aktuelle Debatte der Verknüpfung zwischen Kunst, Geschichte und Geschichtsschreibung ein. So zum Beispiel interessiert sich Biermaier in «Ein Bild vom Wegsehen» für den Aspekt der Mythenbildung in der mündlich transportierten Geschichtsschreibung. Über den Audiotext thematisiert sie die Frage nach dem Wahrheitsgehalt und dem Glaubens- und Manipulationspotential von mündlicher Überlieferung. Mit dem Bild «Im flachen Land» fügt sie ausserdem eine Metaebene ein, die zum Nachdenken über den Begriff des Dokumentarischen anregen soll.
In der Arbeit «Familienfotos» befragt Caraco im weitesten Sinne das Medium Fotografie, als dokumentarische Form. Was kann Fotografie überliefern und wie? Welche sind ihre Wahrheitsansprüche und Möglichkeiten? Caraco versteht die Fotografie als Dokument, welches nicht immer leicht lesbar ist. So waren für sie die Fotografien aus dem Nachlass ihres Grossvaters anfangs nicht entschlüsselbar. Die darauf abgebildeten Personen konnte sie weder erkennen noch einordnen. Ausgehend aus gleichem Quellmaterial, in dem Versuch dieses lesbar zu machen, hat Caraco drei verschiedene Formen der Übersetzung erarbeitet, welche die flüchtigen Dokumente mit neuer Konsistenz versehen. Ob sich aus diesen Übersetzungen eine persönliche Vergangenheit zusammensetzen lässt bleibt offen: Handelt es sich nicht doch lediglich um eine konstruierte Wirklichkeit, eine Fiktion? An diesem Punkt stossen wir wieder auf ein von Hito Steyerl ans Licht gebrachtes Paradox: «Der Zweifel an ihren Wahrheitsansprüchen macht dokumentarische Bilder nicht schwächer sondern stärker».

Vorhang auf
Die Kunshäuser trumpfen auf. Doch auch abseits der bekannten Pfade lässt sich zurzeit spannende Kunst entdecken.
Nach so langer Zwangspause dürfen es ruhig die großen Namen sein. Richter, Hodler und Klimt locken das Publikum nach Zürich, Olafur Eliasson entledigt der Fondation Beyeler in Basel gleich die Außenfassade, damit noch mehr Menschen zur Kunst finden. Renommee, Spektakel gar, das reizt, aber den Blick auf die kleinen, feinen Trouvaillen nicht verstehen soll.
Brutale Ornamente und schmucke Militärparaden
Dem Männerkanon in Zürichs Kunsthaus stellen sich am anderen Ende der Stadt zwei Frauen entgegen. Im << König Büro>> der Aargauer Kuratorin Susanne König begehen Aglaia Haritz aus Bellinzona und Nicole Biermaier aus Baden die <<Wege der Opponentinnen>>. und dabei geht es in dem intimen Kunstraum auf dem knarzenden Parkett nicht nur friedlich zu und her. Die beiden Künstlerinnen machen das Ornament zur Waffe. Was eben noch blumig und dekorativ aussieht, entlarvt sich als Kampfansage - frei nach den Texten der Juristin und Frauenrechtlerin Iris von Roten.
Leichtfüssig neben- und übereinander bringen die Künstlerinnen textile und digitale Arbeiten zusammen. Dort hängt ein Maschinegewehr aus der Gardinenspitze (Haritz, «Fucile di pizzo I»), das tödliche Werkzeug nicht mehr als ein fadenscheiniger Lappen. Dort entpuppt sich ein hübscher Schmetterling als hochpotente Militärparade (Biermaier, <<Schmetter-ling>>). Medienkünstlerin Nicole Biermaier arbeitet mit Videostills und Codes, aber auch die Spitzengardine taucht bei ihr immer wieder auf: «Hinter dem Vorhang hervorzukommen, ist ein Kraftakt. Man braucht Unterstützerinnen, um als Künstlerinn Präsenz zu erlangen.>> Beide Künstlerinnen hatten durch ihre Mutterschaft in den letzten Jahren wenig Möglichkeiten, auszustellen. So sei das eben, wenn man Kinder hat, heißt ernst und salopp - und trifft damit dennoch die ganze Realität, die hinter unausgewogenen Ausstellungsprogrammen und Line-ups steht. Galeristin Susanne König ist dies bewusst: << Ich möchte feministische Positionen zeigen, aber vor allem Frauen, die Brüche und Widerstände in ihrem Schaffen aufgreifen.>>
Warum auch in die Ferne schweifen?
Die kleinen Städte im Aargau mögen nicht bekannt sein für ihre Galerieszene, die bei den großen Nachbarn wie Zürich stattfindet. Dabei lohnt es sich gerade auch hier, die bekannten Pfade zu verlassen, um die Nebenbühnen zu entdecken. In Aarau startet im Atelierturm KIFF die zweite Ausstellungssaison. Auf der Beletage treffen sich dort drei Oberaargauer Künstler zum visuellen Generationengespräch. Hans-Rudolf Fitze auf der einen, Angela Ehrsam und Milena Lahoda als das junge Duo Jojo auf der anderen Seite werfen sich im Wechsel malerisch-analoge und grafisch-digitale Bildwelten zu. Zur Vernissage am 11.Juni sorgt Spoken-Word-Poet Valerio Moser auch hier für Spektakel.
Anna Raymann ---------------------------------------------------------
Wege der Opponentinen
11.6.-10.7. König Büro, Zürich.
Duo Jojo & H. R. Fritz, 11.6.-4.7. Beletage KIFF, Aarau.
Nach so langer Zwangspause dürfen es ruhig die großen Namen sein. Richter, Hodler und Klimt locken das Publikum nach Zürich, Olafur Eliasson entledigt der Fondation Beyeler in Basel gleich die Außenfassade, damit noch mehr Menschen zur Kunst finden. Renommee, Spektakel gar, das reizt, aber den Blick auf die kleinen, feinen Trouvaillen nicht verstehen soll.
Brutale Ornamente und schmucke Militärparaden
Dem Männerkanon in Zürichs Kunsthaus stellen sich am anderen Ende der Stadt zwei Frauen entgegen. Im << König Büro>> der Aargauer Kuratorin Susanne König begehen Aglaia Haritz aus Bellinzona und Nicole Biermaier aus Baden die <<Wege der Opponentinnen>>. und dabei geht es in dem intimen Kunstraum auf dem knarzenden Parkett nicht nur friedlich zu und her. Die beiden Künstlerinnen machen das Ornament zur Waffe. Was eben noch blumig und dekorativ aussieht, entlarvt sich als Kampfansage - frei nach den Texten der Juristin und Frauenrechtlerin Iris von Roten.
Leichtfüssig neben- und übereinander bringen die Künstlerinnen textile und digitale Arbeiten zusammen. Dort hängt ein Maschinegewehr aus der Gardinenspitze (Haritz, «Fucile di pizzo I»), das tödliche Werkzeug nicht mehr als ein fadenscheiniger Lappen. Dort entpuppt sich ein hübscher Schmetterling als hochpotente Militärparade (Biermaier, <<Schmetter-ling>>). Medienkünstlerin Nicole Biermaier arbeitet mit Videostills und Codes, aber auch die Spitzengardine taucht bei ihr immer wieder auf: «Hinter dem Vorhang hervorzukommen, ist ein Kraftakt. Man braucht Unterstützerinnen, um als Künstlerinn Präsenz zu erlangen.>> Beide Künstlerinnen hatten durch ihre Mutterschaft in den letzten Jahren wenig Möglichkeiten, auszustellen. So sei das eben, wenn man Kinder hat, heißt ernst und salopp - und trifft damit dennoch die ganze Realität, die hinter unausgewogenen Ausstellungsprogrammen und Line-ups steht. Galeristin Susanne König ist dies bewusst: << Ich möchte feministische Positionen zeigen, aber vor allem Frauen, die Brüche und Widerstände in ihrem Schaffen aufgreifen.>>
Warum auch in die Ferne schweifen?
Die kleinen Städte im Aargau mögen nicht bekannt sein für ihre Galerieszene, die bei den großen Nachbarn wie Zürich stattfindet. Dabei lohnt es sich gerade auch hier, die bekannten Pfade zu verlassen, um die Nebenbühnen zu entdecken. In Aarau startet im Atelierturm KIFF die zweite Ausstellungssaison. Auf der Beletage treffen sich dort drei Oberaargauer Künstler zum visuellen Generationengespräch. Hans-Rudolf Fitze auf der einen, Angela Ehrsam und Milena Lahoda als das junge Duo Jojo auf der anderen Seite werfen sich im Wechsel malerisch-analoge und grafisch-digitale Bildwelten zu. Zur Vernissage am 11.Juni sorgt Spoken-Word-Poet Valerio Moser auch hier für Spektakel.
Anna Raymann ---------------------------------------------------------
Wege der Opponentinen
11.6.-10.7. König Büro, Zürich.
Duo Jojo & H. R. Fritz, 11.6.-4.7. Beletage KIFF, Aarau.
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